

Am Abend des 10. Oktober 2025 wurde Professor Li Xuetao, Dekan der Schule für Geschichte und Kultur der Universität für Fremdsprachen Peking, an die Pädagogische Universität Hunan eingeladen, um einen Vortrag mit dem Titel „Der Beitrag des Außenseiters: Der kulturelle Kontext und hermeneutische Fragen von ‚Nur die Chinesen verstehen China‘“ zu halten. Der Vortrag war Teil des 3. Internationalen Humboldt-Tag-Forums „Humboldts Kosmos: Ethik und Ästhetik“ und sollte Fakultätsmitgliedern und Studierende aktuelle Perspektiven und kritische Fragen der zeitgenössischen Humboldt-Forschung näherbringen. Die Veranstaltung, die in Raum 515 des Tenglong-Gebäudes der Fakultät für Fremdsprachen stattfand und von Professor Xiao Huafeng moderiert wurde, war vollständig ausgebucht und förderte eine lebendige akademische Atmosphäre.
Zu Beginn seines Vortrags griff Professor Li Xuetao auf seine eigene akademische Laufbahn zurück und reflektierte über den prägenden Einfluss seines Mentors, des deutschen Sinologen Professor Wolfgang Kubin. Er unterzog die verbreitete Behauptung „Nur die Chinesen verstehen China“ einer rigorosen philosophischen Analyse und Kritik. Professor Li wies darauf hin, dass diese Aussage zwei implizite Annahmen birgt: erstens, dass „Verständnis“ simplistisch mit ethnischer Identität gleichgesetzt werden kann, und zweitens, dass externe Perspektiven inhärent „Missverständnissen“ gleichkommen. Er argumentierte, dass diese Denkweise kein kulturelles Selbstvertrauen widerspiegele, sondern tatsächlich auf ein Gefühl kultureller Unsicherheit hindeuten könne.
Professor Li erläuterte weiterhin die positive Rolle der „Distanz“ für das Verständnis. Unter Bezugnahme auf Professor Kubins Ansichten betonte er, dass Angehörige einer Kultur aufgrund von Übervertrautheit oft in eine „Vertrautheitsfalle“ oder „Blindheit für das Offensichtliche“ verfallen. Im Gegensatz dazu könne die durch eine Außenperspektive eingebrachte „Fremdheit“ als Spiegel und Ressource für kritische Reflexion dienen, um übersehene kulturelle Logiken neu zu untersuchen. Wahres Verständnis, so schlug er vor, werde nicht dadurch bestimmt, ob man ethnisch Chinese oder Ausländer sei, sondern durch die Fähigkeit, sich zwischen Kulturen zu bewegen, Reflexion zu betreiben und sinnvolle Fragen aufzuwerfen.
Um seine Argumentation zu vertiefen, stellte Professor Li die Theorie der „high-context“- und „low-context“-Kulturen des Kulturanthropologen Edward T. Hall vor und wies darauf hin, dass die chinesische Kultur als typische high-context-Kultur stark auf Hintergrundwissen und geteiltes Wissen in der Kommunikation angewiesen ist. Die Herausforderung des cross-kulturellen Verstehens liege daher oft nicht in sprachlichen Barrieren, sondern im Scheitern beim Wechsel von Kontexten. Er bezog sich auch auf den „Insider-Outsider“-Analyserahmen des Historikers Paul A. Cohen und das Konzept der „Horizontverschmelzung“ des hermeneutischen Philosophen Hans-Georg Gadamer, um das komplementäre Verhältnis zwischen interner Erfahrung und externen Perspektiven zu veranschaulichen. Professor Li schloss daraus, dass Verstehen nicht der Besitz einer festen „richtigen Antwort“ sei, sondern ein fortlaufender, dynamisch generierter Prozess des Dialogs innerhalb der Spannung zwischen „emischer“ und „etischer“ Betrachtungsweise. Das ultimative Ziel liege nicht nur darin, den Anderen zu verstehen, sondern auch sich selbst neu zu positionieren und wiederzuentdecken.
Während der interaktiven Fragestellung warfen die Studierenden eifrig Fragen zu Themen wie der Überwindung von Missverständnissen, den Grenzen der Interpretation sowie dem mit dem Postmodernismus verbundenen Relativismus und Nihilismus auf. Mit fundiertem Fachwissen und durchdachten Antworten führte Professor Li das Publikum über binäres Denken hinaus und unterstrich die Bedeutung einer „Dialogischen Ethik“. Er ermutigte die Anwesenden, in ihrem akademischen Streben ein starkes Gefühl für kritisches Hinterfragen zu kultivieren, damit Texte zu ihnen „sprechen“ und so genuine intellektuelle Kreativität inspirieren können.
Abschließend bot Moderator Professor Xiao Huafeng eine prägnante Zusammenfassung. Er lobte Professor Lis Vortrag für seine interdisziplinäre Breite und philosophische Tiefe und betonte, dass angesichts der aktuellen globalen Dynamik die Förderung der Fähigkeit zu Verständnis, Dialog und Empathie von großer Bedeutung für den Aufbau einer gemeinsamen Zukunft der Menschheit sei.
Der fast zweistündige Vortrag bot tiefgründige Einsichten und reichhaltige Inspiration und endete mit warmem Applaus von Fakultätsmitgliedern und Studierenden.